Kultur kann man nicht einfach inszenieren ...

Transformationsbegleitung (9) 

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… sie spielt auch auf der Hinterbühne

„Wir müssen unsere Kultur den neuen Gegebenheiten anpassen.“, so manche Auftraggeber. Als Organisationsberaterin soll ich dabei unterstützen. Es gibt oft eine klare Vorstellung davon, wie die Kultur nachher aussehen soll: Mehr Selbstverantwortung, mehr Kollegialität und Kooperation, schnellere Kommunikation, mehr Potentiale wirksam werden lassen. Klare Sache. Also machen wir einen Workshop dazu – damit werden wir die Kultur verändern. Oder?

Was ist eigentlich Kultur? Ich folge hier der Definition von Peter Kruse.

„Kultur ist die Summe der Regeln, Werte und Absprachen, denen Menschen bewusst oder unbewusst folgen, um einen Lebensraum zu gestalten, in dem geordnetes gemeinsames Handeln möglich ist. [...]“ (Kruse 2020, S. 21).

Damit wird deutlich, dass es auch um unbewusstes, also nicht direkt zugängliches Handeln geht, welches wir an den Tag legen, um in den gegebenen Verhältnissen funktionieren zu können. Die Kultur einer Organisation gibt Heimat und Identität. Das führt zu Sicherheit und bewirkt Handlungsfähigkeit. Gleichzeitig bestätigen die Einzelnen in ihrem Verhalten wiederum die Kultur. Somit ist Kultur vom Prinzip her eine relativ stabile Größe.

Edgar Schein unterscheidet drei Ebenen von Kultur:

Sichtbares Verhalten und alltägliche Artefakte: Da sind zum einen die sichtbaren oder wie auch immer durch die Sinne wahrnehmbaren Handlungen bis hin zu greifbaren Ausstattungen eines Kollektivs. Das ist sowohl die Art wie man miteinander umgeht, als auch, welches Auto/Fahrrad man fährt, welchen Sprachcode man nutzt, wie man sich kleidet bis dahin, wem man welchen Status einräumt.

Öffentlich propagierte Werte (Präsentation): Ferner nennt Schein die öffentlich postulierten Werte, die z.B. in einem Leitbild festgehalten sind. Sie dienen im Prozess wie in der Veröffentlichung der Aufmerksamkeitsfokussierung.

Gemeinsam erlernte Werte und Überzeugungen (Hinterbühne): Sehr wirksam ist die dritte Ebene, die unausgesprochene, gemeinsam erlernte Annahmen enthält. Sie werden subtil in Narrativen deutlich. Die Ausführung dieser Kulturebene ist wie ein ungeschriebenes Gesetz.

Neulich war ich in einer spannenden Theaterinszenierung. Die Geschehnisse hinter der Bühne wurden per Video zeitgleich mit dem Theaterstück gezeigt. Man bekam also die Vorderbühne zuzüglich einer Hinterbühne präsentiert. Jedoch ist zu sagen, dass diese Hinterbühne durch die Art der Inszenierung Teil der beeinflussten Vorderbühne wurde. Die Hinterbühne stand unter Beobachtung, wurde somit sicht- und besprechbar gemacht und konnte zielgerichtet mitinszeniert werden. Als Zuschauerin bekam ich eine Idee davon: „Aha: So geht das also bei denen!“ Einige Handbewegungen und Gesten schienen automatisch und originalgetreu zu sein. Doch ist davon auszugehen, dass diese Hinterbühne in dem Moment der Beobachtung eine weitere, nicht inszenierte, ungeschriebene Kultur produziert. Es wird sie immer geben, die informelle kulturelle Anpassung an die offiziell sichtbaren Struktur- und Kulturelemente.

Eine Kultur besteht aus Erwartungsstrukturen, die folglich bei weitem nicht nur durch die Formalstruktur gegeben sind, sondern vor allem durch informelle Gegebenheiten und Gewohnheiten, wie z.B. die Informationsvermittlung in der Mitarbeiterküche. Allerdings ist es so, dass sich die formellen Strukturen auf die informelle Kultur auswirken: Einerseits kompensatorisch und ergänzend – andererseits wird in den formellen Strukturen Verhalten erlernt, welches sich in der informellen Kultur widerspiegelt. Wenn z.B. die Mitarbeiterküche offizieller und beobachteter Teil der Kommunikationsstruktur, werden sich die kulturellen „Versicherungsakte“ der Zugehörigkeit ggf. noch weiter nach außen verlagern. Andererseits kann es sein, dass eine eingeübte interessierte fragende Haltung in offiziellen Meetings sich auch in den informellen Akten wiederspiegelt.

Die Ebene des sichtbaren Verhaltens und der Hinterbühne hängen oft eng zusammen, wenn z.B. bestimmte Rituale regelmäßig durchgeführt werden. Ein Beispiel für ein Ritual ist die Sitzordnung bei einer Besprechung, welche gleichermaßen unausgesprochen Statusverhältnisse dokumentiert. Rituale haben ordnende, oft mit Tabus verbundene Kräfte und eine starke Macht im System.

Solange die praktizierten Spielregeln nicht bewusst und hinterfragt werden, bleibt die Kultur stabil. Sie sollte jedoch um der Überlebensfähigkeit Willen eine dynamische Stabilität aufweisen.

 

Kulturentwicklung – Wie geht das?
Mein Verständnis und Ansatz: Die Hinterbühne und das daraus folgende Verhalten

a) Besprechbarmachen der vorhandenen Kultur – Bewusstmachung und Reflexion - und der aktuellen Kontextbedingungen und möglicher Folgen und Perspektiven.

b) Einführung neuer, gewünschter (Kommunikations-)Muster durch die entsprechende Anlage von Gesprächsformaten und organisationalen Diskursen (Stephanie Borgert) in offiziellen Settings – in der Annahme, dass sich dieses auf informelle Kulturmuster auswirkt. Entwicklung bedeutsamer Rituale (vgl. „Mut zu Inner Work“).

c) Erfahrungen in Krisenmomenten – welche Kultur machen Führungskräfte vor? Erfahrung psychologischer Sicherheit als Anker.

d) Kulturentwicklung geschieht in der Gleichzeitigkeit von Bewahren und Verändern. Das Bewahren-Dürfen von Subkulturen und identitätsstiftenden Werten ist ein wichtiger Faktor von Sicherheit – auf dessen Basis sinn-volle Öffnungen für neue Umsetzungsmöglichkeiten der Werte sind – der Versuch einer „Gleichmacherei“ wird so unterbunden und unnötige Widerstände werden verhindert.

d) Achtsamkeitsfokus lenken durch Führung: Was betonen wir? Wie ist unser Narrativ? Welche Botschaften senden wir am Rande? Henry Mintzberg nennt in seinem Werk „Managen“ (2010) den Chef „Werteträger“ und „institutionelle Verkörperung des Zielgedankens“. Der Manager, so schreibt er, erscheint als „das Energiezentrum der Kultur seiner Einheit“ und ist im Aufmerksamkeitsfokus seiner Mitarbeitenden. So kann trotz Veränderung Vertrauen durch die „Sicherheit der sozialen Selbstdarstellung“ (Luhmann 2014, S. 46 f.) der Organisation hergestellt werden: Eine Selbstdarstellung, die für die Mitarbeitenden stimmig erscheint.

Die Beeinflussung der Hinterbühne braucht Zeit, organisationalen Diskurs (vgl. Borgert 2024) und Management von Instabilität.

Das Buch zu Inner Work:

Mut zu Inner Work. Die Hindernisse zur Transformation überschreiten.

Der Podcast dazu:

Lea Podcast mit Andrea Hötger und Christina Grubendorfer

Meine Inner-Work-Beratungen und Fortbildungen:

https://www.transformation-companion.de/

Zum Weiterlesen:

Peter Kruse: Next Practice. Erfolgreiches Management von Instabilität. Gabal 2020

Henry Mintzberg: Managen. Gabal 2010

Stephanie Borgert: Gemeinsam denken, wirksam verändern. Organisationaler Diskurs als Schlüssel zum Change. Vahlen 2024