Das "Team" als Haifischbecken

Transformationsbegleitung (8) 

bird 4313897 1280

Hauptsache, ich habe gut performt...

Wer in seiner Biografie an wesentlichen Stellen mehr Zurückweisung statt Anerkennung erfahren hat, fühlt sich ungeliebt. Entweder schämt er sich für seine angeblichen Makel oder versucht den anderen das Gegenteil zu beweisen - durch Leistung. In Organisationen wird die erste Kategorie kaum weit kommen – die zweite jedoch finden wir dort vor, wo Leistung zählt. Erhaben-sein und ein gutes Image überdecken die eigene Verletzlichkeit. Das Individuum performt perfekt – und manchmal demonstriert eine Ansammlung von Performern, die als Team auftritt, ihre symbolische Macht.

Das fünfte Organisationsprinzip des NARM®-Konzepts bei Entwicklungstraumata rankt sich um ein Thema, welches nicht zur Funktion einer Organisation, sondern zur Funktion von Familien zuzuordnen ist: Liebe und Sexualität. Dennoch sind die von jenem Trauma Betroffenen auch in Organisationen zu finden – und das hat Auswirkungen auf das Team.

Beginnen wir beim Individuum und der Entstehung jener Liebe-Sexualitätsstruktur, die letztlich in einem hohen Leistungsideal mündet. Das Kind wird mit seiner aufkeimenden Sexualität und der damit einhergehenden Neugierde von den Eltern zurückgewiesen und verletzt. Entweder wird die Sexualität ignoriert oder – vielleicht aufgrund von Eifersucht und Neid – schlägt ihr Ablehnung oder Missbilligung entgegen. Der gegengeschlechtliche Elternteil ist in dieser Entwicklungsphase besonders wesentlich: Gibt oder entzieht er die Aufmerksamkeit – und in welcher Art - in dieser Phase?

Ferner geht es darum, wie mit Liebe und Gefühlen in der Familie generell umgegangen wird: Wenn Liebe an Bedingungen geknüpft wird, so fällt es schwer, den eigenen Körper als wertvoll und liebenswert anzusehen. Das ganzheitliche Geliebt-werden meint man also erarbeiten zu können und zu müssen.

Oft sind diese Menschen darum bemüht, ihren Körper zu perfektionieren und sich optisch Idealen von Männlichkeit oder Weiblichkeit anzupassen – andere wiederum fokussieren nicht auf den Körper - er scheint sich aufgrund der Erfahrungen nicht für Anerkennung zu eignen - und flüchten in eher nicht-körperliche Sphären. In beiden Fällen geht es um Leistung. Leistung, die garantieren soll, geliebt zu werden. Echter Nähe vertraut dieser Typ nicht – denn er fürchtet die Wiederholung der Erfahrung, nicht gut genug zu sein. Nur das Produkt starker Bemühungen der Anpassung an Ideale ist vorzeigbar. Die zu erbringende Leistung ist sowohl milieu- als auch geschlechtsspezifisch definiert. Das Streben nach Perfektion jedoch verstärkt im Endeffekt das Bild, mit Makeln behaftet zu sein. Letztere gilt es zu kaschieren, will man nicht resignieren – und das geht vornehmlich über Aktion. Die Psychoanalyse würde es Ausagieren nennen: Etwas tun, um nicht zu fühlen.

Grundsätzlich glauben diese Menschen, dass sie mit Makel behaftet sind. Manche schämen sie sich dafür (Schambasierte Identifikation lt. Heller). Mir begegnen in Organisationen hauptsächlich die stolzen Macher (Stolzbasierte Identifikation), die dieses Schamgefühl nicht zulassen. Die wohl körpernächste Form der Leistungserbringung ist im Sport möglich – es kann jedoch durchaus gerade körperferne Möglichkeiten der Kompensation geben, wie z.B. sich kognitiv unter Beweis zu stellen - das erlebe ich bisweilen in manchen Bereichen der Hochschule.

Für den weiteren Übertrag der Traumastruktur auf jedwede Organisation habe ich mich dem Philosophen Axel Honneth gewidmet. In seinem Werk „Kampf um Anerkennung“ wird eine Verwandtschaft der Anerkennungsformen im privaten und öffentlichen Raum deutlich. Die wechselseitige intersubjektive Anerkennung gibt den Menschen die Identität. Diese geschieht nicht durch Symbiose, dem Gleich- und Verschmolzensein, sondern gerade in der Begegnung der Unterschiede erfährt das Individuum mehr von sich selbst. Anerkennung bedeutet also keine harmonische Bestätigung, sondern besteht aus dem Prozess von Versöhnung und Konflikt zugleich. Dies geschieht durch Perspektivübernahme des Gegenübers, oder wie George Herbert Mead sagt, durch „taking the role of each other“.  

Honneth unterscheidet Liebe, Recht und soziale Wertschätzung als drei Formen der Anerkennung. Während Liebe die Anerkennungsform der Familie, Recht die des Staates ist, ist die soziale Wertschätzung die Anerkennungsform in Organisationen. Scheinbar wird in modernen Organisationen Leistung neutral bewertet. Die Bewertung geschieht faktisch jedoch durch die Kultur der Organisation und die Haltung der wertsetzenden Führungskräfte. Um in der Organisation Anerkennung zu bekommen, geschieht nun ein Kampf der Individuen. Manchmal kämpfen auch ganze Teams um Anerkennung. Diejenigen, die in die oben beschriebene Struktur passen, tun dies jedoch ohne echte bezogene Solidarität untereinander, da man nicht nur der Autorität, sondern auch dem Nächsten nicht traut. Oftmals ist es eher eine unverbundene Ankerkennungsschlacht durch gemeinsame Abwertung Anderer, wie wir es z.B. auch auf Social Media sehen können.

Die drei entsprechenden Formen der Nicht-Achtung sind Gewalt, Entrechtung und Entwürdigung. Tatsächlich sind auch die ersten beiden Formen der Nicht-Achtung in Organisationen zu finden. Der Körper – obgleich wir ihn in Organisationen selten thematisieren – spielt in diesem Kampf oft auch eine Rolle, wie manche Kommentare auf Instagram über beleibte führenden Personen (z.B. aus der Politik) dokumentieren. Dieses Berühren der leiblichen Integrität ist eine Form körperlicher Beschädigung. Auch die Einhaltung des Rechts ist nicht überall gegeben. Entwürdigung ist der markanteste Teil von Nicht-Anerkennung in Teams, die wir dem fünften Organisationsprinzip des NARM®-Konzepts zuordnen können. Die frühen Erfahrungen von Zurückweisung finden sich in der Organisation durch folgendes Verhalten wieder:

  • Verletzung, Zurückweisung und Herabwürdigung anderer – um ihnen zuvorzukommen
  • Kritikunfähigkeit – „über jeden Tadel erhaben“ sein
  • Starke Orientierung auf das Image - Perfektion

Und auch hier ist es so, dass die eigene Vorverletzung sich einen Platz sucht, in dem die eigene Organisationsstruktur gut gelebt werden kann. Eine Leistungskultur im Sinne von "Wer nicht alles gibt, ist verloren." zieht solch perfekte, imageorientierte Personen an.

Genau diese Formen finde ich bisweilen an Universitäten wieder. Hier arbeiten wissenschaftliche Kräfte als Arbeitsgruppe zusammen, die häufig harte Konkurrenten im Hinblick auf die eigene Karriere sind. Die Leistungskriterien sind dabei häufig sehr undurchsichtig – Bewertung und Karriere geschieht häufig über Willkür einzelner Professor*innen und Vitamin B. In einem solchen Kontext nutzte einer meiner Coachees die Metapher des „Haifischbeckens“: In öffentlichen Sitzungen wurden andere beschämt. Kritik wurde sofort als Angriff gewertet und gegen den Kritisierenden gewendet. Das Schaulaufen in Meetings und Publikationen führte zu wissenschaftlichen Winkelhaken. Bei Professurbesetzungen wurde im Hintergrund interveniert. Leistungen anderer wurden gebraucht, ohne sich auf das geistige Eigentum zu beziehen. Die Arbeitsgruppe, die ich gerade als Beispiel im Blick habe, wollte auch für die Uni Preise eintreiben und arbeitete dafür unermüdlich. Sie kam im Endeffekt jedoch auf keinen grünen Zweig, weil jede*r Einzelne seine eigene Leistung hütete, statt sich für echte Kollaboration zu öffnen. Das Wissenschaftssystem belohnt an vielen Stellen Menschen, die alles für Ihre Einzelleistung tun. Die Entgrenzung durch nicht definierte Arbeitsumfänge und -zeiten kann bei mangelnden Ressourcen (Hobbies, Familie…) zu Erschöpfung, Sucht und Burnout führen. Letzteres wird nicht selten mit Forschungssemestern und Homeoffice kaschiert. Doch die Karriere durch Leistung ersetzt niemals die ganzheitliche Anerkennung und das Angenommensein des Menschen.

Maßnahmen für Transformationsbegleiter, die hier oftmals als Konfliktberater gerufen werden:

Zunächst sehe ich hier eine Notwendigkeit, an den großen Strukturen zu arbeiten – doch dazu hatte ich bislang noch keinen Auftrag. Ferner sehe ich die Strukturen im Kleinen - und da ist die erste Maßnahme, Bewusstheit für psychologisch sichere Kommunikation zu schaffen und in die Strukturen zu implementieren (vgl. "Mut zu Inner Work"). Um diesen Kommunikationsrahmen zu formen, zu implementieren und zu halten, sehe ich im Wesentlichen eine hohe Führungskompetenz als Bedingung. Diese kann in gegenseitiger Verbundenheit in Schulungen und noch intensiver auf die einzelne Person bezogen in Coachings geprägt werden. Die Entwicklung der Führungskraft (oder der Wechsel?) ist Bedinung für die Entwicklung des Teams. Kriterium für Kommunikation ist ein Rahmen, in dem Unperfektes einen Raum ohne Herabwürdigung hat. 

Die konkrete Arbeit der Transformationsbegleitung im Team geschieht vor allem in der eigenen Haltung von Ressourcenorientierung und der wertschätzenden, zuhörenden Zuwendung allen gegenüber. Öffnende Fragen sind oft das Mittel der Wahl. Ferner gilt es auch, die Realitäten der Konkurrenz und des Leistungsstrebens besprechbar zu machen. Sich zeigende Risse in der Fassade sind oft gute Möglichkeiten, um daran anzuknüpfen – doch Vorsicht mit dem Tempo – nicht ich sondern die Gruppe bestimmt es: Die Scham ist im Raum und damit gilt es sensibel zu arbeiten, denn am nächsten Tag sehen sich die Leute wieder. Da Fehler und Scheitern nicht zur Kultur gehören, halte ich es für wesentlich nach der Öffnung einer einzelnen Person (die vielleicht über Ängste oder Fehler spricht), in einem Sharing die Scham zu normalisieren. Praktisch frage ich in einer Runde danach, wo den Einzelnen einmal etwas ähnlich untergekommen ist. Damit geschieht gemeinsam so etwas wie Mitgefühl und gar Selbstmitgefühl. Durch das Teilen der einzelnen Erfahrungen geschieht das, was Mead benannt hat: Eine Perspektivübernahme und ein in Kontakt gehen – mit sich selbst und den anderen.

Und es geht darum, dass die Leistung zum Spiel der Wissenschaft dazu gehört. Dass zwar Einsatz, Leidenschaft und Disziplin zum Erfolg unbedingt dazu gehören – aber bitte gepaart mit Freude, mit sich selbst und anderen in Kontakt sein, und es auch Genuss nicht nur auf der Siegertreppe sondern auch zwischendurch auf dem Weg dahin braucht.

Erfolg bring zwar Bestätigung - soziale Anerkennung geht jedoch nur über ehrlichen Kontakt. Die Leistung und der Ehrgeiz im Beruf ist Teil eines nicht unbedeutenden Spiels  – aber nicht das ganze Leben. Damit dieser Teil ein Teil vom Glück des Lebens werden kann, gehört unbedingt das Erkennen und Anerkennen des Eigenseins dazu – genauso wie das in Verbindung gehen mit dem Anderssein von Anderen.

Das Buch zu Inner Work:

Mut zu Inner Work. Die Hindernisse zur Transformation überschreiten.

Der Podcast dazu:

Lea Podcast mit Andrea Hötger und Christina Grubendorfer

Meine Inner-Work-Beratungen und Fortbildungen:

https://www.transformation-companion.de/

Zum Weiterlesen:

Volker Hepp: Drei Formen von Organisationstraumata. In: Hartung, Stephanie: Trauma in der Arbeitswelt. Springer Gabler 2018.

Alles von Laurence Heller zu Entwicklungstraumata.