Überheblich auf ganz dünnem Eis …

Transformationsbegleitung (6) 

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Wenn Macht und Image die Unsicherheit kaschieren müssen…

Die dritte Variante, wie sich traumatisierte Teams organisieren können, wird „Vertrauensstruktur“ genannt. Es geht selbstverständlich darum, wie man sich organisiert, wenn man kein Vertrauen erlebt, sondern stattdessen manipulativen Spielen ausgesetzt ist. Dazu heute ein Beispiel aus einer Marketingabteilung eines großen Dienstleistungsbetriebs.

Ich wurde in einen Konflikt in eine vor 2 Jahren neu aufgebaute Marketingabteilung gerufen. Der Konflikt wurde verschärft zwischen der Leitung und einem Mitarbeiter offensichtlich – doch offenbar und irgendwie ganz diffus – der Bereichsleiter war selbst ratlos - schien das ganze Team mit ca. 6 Mitarbeitenden involviert. Es wurde mir so dubios vorgestellt, dass ich zur Einordnung kurze Einzelgespräche führte.

Dabei wurde mir deutlich, dass ich intuitiv genau das Gesprächsformat gewählt hatte, welches das übliche Gesprächsmuster nahelegte: Man sprach übereinander statt miteinander. Es ging jedoch bei den Gesprächen „hinterm Rücken“ der anderen nicht nur um Lästerei: Führung spielte laut den Erzählungen immer wieder mit der Macht nicht nur über Urlaub und Fortbildung, sondern vor allem mit der Macht des „Rauswerfens“ -  was sie auch schon einmal erfolgreich praktiziert hatte.

Die Gesprächskultur der Chefin wurde nicht zuletzt durch die Haltung „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“ deutlich. Folgende Zitate der Chefin wurden mir durch die Mitarbeitenden berichtet: „Erzählt den Anderen (und auch dem Bereichsleiter) wie furchtbar Person XY ist.“ Oder „Wenn YZ nicht von selbst geht, dann ziehe ich noch ganz andere Seiten auf. Den kriege ich auch noch raus. Du aber bist meine beste Mitarbeiterin“. Interessanterweise waren in den Gesprächen einige Personen völlig zurückhaltend und sagten kein einziges relevantes Wort zum Konflikt: „Ich mache hier meine Arbeit und mit der Chefin verstehe ich mich gut.“. Einige waren nahe an der Verzweiflung und fühlten sich völlig benutzt und hilflos. Andere wiederum warfen mir die Chefin selbst und eine der Fürsprecherinnen der Chefin quasi „zum Fraß“ vor. Das drastische Vokabular hier gibt die Stimmung der Gespräche wieder. Es wurde auch deutlich, dass die Mitarbeitenden sehr stark  durch die Chefin kontrolliert wurden und das Ausspielen eigener Ideen wenig bis gar keinen Raum hatte.

Beim NARM® - Traumakonzept unterscheidet man beim Organisationsprinzip des Vertrauens die Untertypen des Verführers und den brachialen Untertyp. Hier scheint bei der Chefin vor allem der zweite vorzuherrschen, denn es geht um die Machtsicherung anderen gegenüber und darum, sich das Vertrauen einiger Menschen zu erschleichen, um sie für die eigenen Zwecke zu gebrauchen. Und das Team entwickelt bereits eine ähnliche Struktur. Sie lernten schnell, wie das Spiel hier geht und passten sich an.

Durch die Brille der Traumatheorie des  NARM® - Konzepts geschaut, geht es hier um das Organisationsprinzip rund um das nicht erlebte „Vertrauen“, welches narzisstische Nöte hervorruft. Die in der Kindheit durch manipulative Spiele erworbenen Überlebensmechanismen werden in die Organisation getragen.

Die Theorie beschreibt, wie Kinder – in ihrer Abhängigkeit von den Eltern durch Belohnung und Bestrafung manipuliert werden – mit dem Ziel so zu sein und zu agieren, wie die Eltern sie gern hätten. Oft geht es dabei darum, verlängerter Arm der Eltern zu sein, statt in der eigenen Individualität gesehen zu werden. So werden sie z.B. auch im Streit zwischen den Eltern benutzt etwas auszuagieren – bekommen jedoch nie das Gefühl selbst in seiner Eigenheit als Individuum gemeint zu sein. Gelernt wird dabei, dass man sich nicht verlassen kann, sondern benutzt oder verraten wird. Und um dieses abzuwenden, vermeidet man den echten Kontakt und versucht selbst durch sein Verhalten andere zu manipulieren. Sie benutzen eine Fassade, um gut anzukommen.

Auch hier gibt es wieder die beiden Arten der Identifizierung:

Auf Scham basierte Identifizierungen führen zu Versagensängsten, dem Gefühl verraten und benutzt zu sein und sich schwach und hilflos zu fühlen.

Auf Stolz basierte Identifizierungen führen dazu, selbst als Verräter zu agieren und die Schwächen anderer zu erkennen und auszunutzen.

Im Team fand ich beide Arten der Identifizierung. Alle fühlten sich gleichermaßen auf dünnem Eis – die Reaktionen darauf waren typabhängig. Klar war jedoch, dass das Vertrauen insgesamt gestört wenn nicht gar zerstört war.

Was kann ich hier als Beraterin oder als Führungskraft tun?

Als Systemtheoretikerin bin ich sehr vorsichtig, eine einzelne Person als Ursache eines sozialen Problems zu identifizieren. Ich denke zirkulär und kontextbezogen – und oftmals ist jemand Auffälliges ein sogenannter Symptomträger. Es gilt gut zu schauen, ob der Kontext nicht zu solchem Verhalten einlädt und überhaupt eine „gesunde“ Möglichkeit zu agieren beinhaltet – und ob das Verhalten, in diesem Fall der Chefin, nicht einen guten Grund für sich und das System beinhaltet und einen systemimmanenten Sinn erfüllt. Diesen Teil gilt es sehr gut mit der Bereichsleitung in den Blick zu nehmen: Hat die Chefin und damit das Team hier gute Bedingungen?

Oder aber rekonstruiert hier jemand mit aller Macht in einen sicheren Rahmen hinein seine eigenen alten Erfahrungen und schadet damit einem jungen Team?

Die Transformation muss in die Richtung gehen: "Niemand ist vollkommen. In gegenseitiger Ergänzung können wir einiges erreichen." Das geht nur in einem Rahmen von psychologischer Sicherheit. Als Beraterin kann ich nur meine Eindrücke an die Bereichsleitung zurückspiegeln. Die Entscheidungen werden von dort getroffen. 

Als Bereichsleitung oder andere höhere Führungskraft sollte ich in welcher Form auch immer ein junges Team mit seiner Führungskraft gut einführen und begleiten – in echter Präsenz mit einer guten Balance zwischen den Polen Vertrauen und Kontrolle. Gerade die Einarbeitungs- und Probezeit sollte ernstgenommen werden und eine Zeit sein, in der die Intention der Arbeit und die Kultur der Organisation erfahrbar werden kann.

Auch Führungskräfte brauchen Führung: Einen Rahmen, der brauchbare Sicherheit und Freiheit spürbar werden lässt – und die Leitplanken der Organisation schützt.

Das Buch zu Inner Work:

Mut zu Inner Work. Die Hindernisse zur Transformation überschreiten.

Der Podcast dazu:

Lea Podcast mit Andrea Hötger und Christina Grubendorfer

Meine Inner-Work-Beratungen und Fortbildungen:

https://www.transformation-companion.de/

Zum Weiterlesen:

Volker Hepp: Drei Formen von Organisationstraumata. In: Hartung, Stephanie: Trauma in der Arbeitswelt. Springer Gabler 2018.

Alles von Laurence Heller zu Entwicklungstraumata.