Bezogene Unabhängigkeit (Teil 2)

Eine Reihe über Kompetenzen und Haltungen für ein sinnvolles Arbeiten und Leben in einer komplexen Welt (6)

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Nein-sagen, klar unbequeme Realitäten benennen, eine Grenze ziehen – mit dem gleichzeitigen Ziel, mit den Menschen möglchst im Kontakt zu bleiben, darum geht es hier. Es gibt einige Verantwortlich in Organisationen, die Ihre Meinung und wichtige Ansagen zurückhalten, weil sie die möglichen Reaktionen fürchten. Das lässt Schädliches zu, welches wir verhindern könnten – und das verhindert not-wendige Entwicklungen.

Grenzziehungskompetenz

Wenn ich im letzten Blog von „Beziehungserhaltender Enttäuschungskompetenz“ sprach, so mag ich diesmal das Adjektiv „beziehungserhaltend“ nicht davor setzen. Auch wenn es vorrangig das Ziel ist, in Beziehung zu bleiben – oder als Führungskraft die Fachkraft bei gleichzeitiger Grenzziehung in Beziehung und im System zu halten, so kann ein eindeutiges STOP auch zum Beziehungsabbruch führen. Wenn dies ein Tabu bleibt, so kann es zu schädigenden und verkehrten Verhältnissen kommen - wer führt dann wen? Meine Grenzziehung fängt da an, wo es menschenunwürdig zugeht. Doch das zu erkennen ist auf Anhieb nicht immer so leicht.

Dinge, die man ignoriert, sind Dinge, die man erlaubt

Diesen Satz eines Antiaggressionstrainer unserer Kinder in der Schule habe ich mir gut gemerkt. Da wo ich weggucke, da erlaube ich das Verhalten auch. Und das ist manchmal auch gut. Schließlich ist das, was sich neben den Strukturen bildet oft eine sinnvolle Kultur, die die Struktur ergänzt. Überzogene Pausen beim Stehkaffee in der Küche kompensieren die fehlende Kontaktzeit an anderer Stelle.

Doch gibt es Verhaltensweisen, die nicht zu ignorieren sind. Wenn wir jemanden „in die Schranken weisen“, weil er etwas tut, was wir nicht zulassen wollen, so ist die Wahrscheinlichkeit der Abwehr auf der anderen Seite sehr hoch. Doch ohne Grenzziehungen geht es nicht.

So konnte ich letztens in der Beratung in einem IT – Bereich erleben, wie im Beisein der Führungskraft eine Person ständig die Augen über die Beiträge einer anderen rollte und diskriminierende Verniedlichungen aussprach. Ich sprach das Verhalten konkret an – und im Nachhinein die Führungskraft. Die meinte nur: „Das ist ein absolutes Brain. Der ist wichtig. Da sage ich nichts“ Und dennoch kann eine solche Person das Gesamtsystem durch eine Kulturverschiebung sehr schädigen – es deutete sich bereits an. Eine Fachkraft erhaltende Lösung könnte allenfalls sein, ihn auf einen „Sateliten“ zu setzen, so dass er seine Arbeit tun kann, ohne das System weiter zu schädigen. Hier drei Verhaltensweisen, bei denen wir aufmerken sollten.

1) Mangelnde Kritikfähigkeit, die gegen andere gewendet wird

Kritikfähigkeit ist eine wesentliche Grundlage in Organisationen – umso mehr, wenn es auf Teamarbeit ankommt und/oder wechselnde Verantwortlichkeiten gibt. Manche Menschen traut man kaum zu kritisieren, denn es kommt garantiert etwas zurück, nachdem man sich selbst schlecht und inkompetent fühlt. Ist das der Fall, gilt es umso genauer hinzuschauen. Wie genau kann solches Verhalten aussehen? Hier ein paar Beispiele, die dem Verhalten einen Namen geben.

Gaslighting

Hierbei erschüttert die schädigende Person immer mal wieder latent die Selbstwahrnehmung des Gegenübers. Dies geschieht vor allem durch Verdrehungen und Unterstellungen. Wird eine solche Person kritisiert, so kommt als Antwort eine wendende Du-Botschaft „Ach ja, da bist Du sehr empfindlich“ oder „Das bildest Du Dir ein – sowas habe ich nie gesagt“. oder „Ist bei Dir zu Hause alles in Ordnung? Du wirkst so angreifbar!“. Oft schwingt ein vermeintlich fürsorglicher Teil mit, der aber letztlich nur dazu dient, das Gegenüber klein zu machen mit der Botschaft „Da hast Du wohl ein Problem.“

Silencing /Tone Policing

Ähnlich ist es auch bei dem Phänomen, wenn die schädigende Person nur auf den Ton, die Form der Kritik eingeht statt auf den Inhalt. Wenn diese Person z.B. mehrfach eine Grenze überschritten hat, so kann es gut sein, dass der oder die Kritisierende nicht im ruhigen, gelassenen Ton reagiert, sondern empört die Kritik äußert. Ein einfaches „Das verbitte ich mir.“ oder „Achte mal auf Deinen Ton!“ oder „Bleib mal sachlich!“ führt schnell zum Ende der Diskussion – und zur Abwehr der Kritik. Gerade bei solchen Menschen ist es umso wichtiger, sich als kritischer Feedbackgeber nicht angreifbar zu machen und tatsächlich vor der Kritik für die eigene Beruhigung zu sorgen. Oftmals wird dieser Mechanismus von schädigenden Personen gegenüber Mitarbeiter*innen (und vielleicht könnte ich an dieser Stelle das Sternchen auch weglassen) benutzt, wenn Führungskräfte grenzüberschreitendem Verhalten keinen Einhalt bieten.

2) Spaltungstendenzen – Koalilitionsbildung - Vereinnahmungen

In einem Leitungsteam neulich spürte ich folgenden Eiertanz: Erst wurde etwas problematisiert, wollten wir daran arbeiten, wurde zurückgerudert. Es gab von einer Person Sprüche wie „Hey Kumpel, wenn Du da ein Problem hast – ich bin bei Dir!“. Ein klarer Fall von Vereinnahmung: „Du stehst unter meinem Schutz! Du gehörst zu mir!“. Wollte jemand anderes ein Thema einbringen, so war derjenige schnell mit Ratschlägen dabei: „Hey, ich mache das einfach so! Das ist doch wohl kein Problem. Oder hast Du damit etwa ein Problem?“ Der Schaden war trotz meiner Intervention schon geschehen – denn wer öffnet sich noch in einem Raum, der nicht psychologisch sicher ist? Kurz darauf erhielt ich die Nachricht, dass diese Person den kompletten Arbeitsbereich verlassen musste. Warum? Er spaltete nicht nur das Leitungsteam in „Du bist mein Buddy!“ und „Du bist ein Looser!“ – sondern schützte auch sein eigenes Team in einer Weise, dass dort Unmögliches möglich wurde, dass dort sicherheitsschädigendes Verhalten gedeckt wurde. Er war Anführer einer ganzen Gruppe – auf Kosten anderer und auf Kosten wichtiger Regeln des Betriebs. Die Bewunderung und Anhängerschaft ging soweit, dass es bei der Kündigung Drohungen an den Chef gingen: Wir folgen unserer Führungskraft!

3) Beschämungen und (subtile) Herabwürdigungen – Ausbeutung

Vom Augenrollen sprach ich schon zu Beginn – die non-verbale Sprache in Besprechungen ist oft ein Indiz für Herabwürdigungen. Vor Teammitgliedern peinliche Dinge über andere zu erzählen ist eine typische Form der Beschämung. Spricht man so jemanden darauf an, so heißt es „Das war doch nur ein Scherz“, denn oft geschieht Beschämung über Ironie.

Eine ungünstige und gleichzeitig nicht selten auffindbare Haltung ist die Infantilisierung des Gegenübers. Das ist eine Herabsetzung, die wiederum im fürsorglichen Kleid daherkommt. Diese kommen durch verniedlichende Titulierungen wie „Küken“ oder aber auch der Funktion unangemessene Schutzhaltungen wie „Das musst Du auch noch lernen“ oder „Das habe ich in Deinem Alter auch noch nicht gewusst“ zum Ausdruck kommen.

Noch letzte Woche hatte ich eine Beratung, in der jemand seine Mitarbeiterin als „Seine Prinzessin“ titulierte – und sie damit dafür vereinnahmte, seine Arbeit über alle Maßen zu tun. Diese Frau ließ sich ausbeuten. Da sie in der Organisation keine Festanstellung, sondern aufeinander folgende Projektstellen innehatte, konnte sie zu dem Zeitpunkt gehen, als eine andere seine „Prinzessin“ wurde. Das ganze Team hatte den konsequent ausbeuterischen Stil dieser mittleren Führungskraft hingenommen – und die Führungskraft der Führungskraft hat alles nicht geschert.

 

Und wie gehe ich dann vor?

Zuerst kommt das Feedbackgespräch. Gern schließe ich mich im Falle der Nicht-Kooperation der aus der Spieltheorie stammenden Strategie des „tit for tat“ an. Man kann es kurzerhand mit „Wie Du mir, so ich Dir“ in Deutsch übersetzen. Dazu gehört als erstes der Vertrauensvorschuss. Das heißt, wir unterstellen unserem Gegenüber Kooperation und gehen selbst vertrauensvoll in das Gespräch. Je nach Ergebnis des Gesprächs handle ich dann weiter: Entweder kooperiert der Partner – dann tue ich es auch. Kooperiert er nicht, so gehe ich über zur anstehenden Sanktion. Diese soll zwar nicht überfordernd, aber dennoch kostenintensiv genug sein. Nach der Sanktion – und natürlich auch nach der Kooperation – gehen wir wieder auf START und vertrauen dem Gegenüber. Die Sanktion ist ein Ausgleich, eine Art Wiedergutmachung, die es möglich macht, von vorn zu beginnen.

Und manchmal gehört es zur Sicherheit, dass man denjenigen, die nachhaltig durch Intrigen und Illoyalität für Unsicherheit sorgen, nach einem ehrlichen Prozess nur noch den Austritt aus dem System anbieten kann – zum Überleben des Systems und der psychologischen Sicherheit aller Beteiligten.

Als zirkulär denkende Beraterin wird es im Folgenden um die Kompetenz gehen, die es braucht, um mit Grenzziehungen und Enttäuschungen umgehen zu können…

Über meine Transformationsarbeit finden Sie mehr unter www.transformation-companion.de