Resonanzfähigkeit

Eine Reihe über Kompetenzen und Haltungen für ein sinnvolles Arbeiten und Leben in einer komplexen Welt (3)

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Der physikalische Vergleich jener Responsivität zwischen zwei Subjekten durch Hartmung Rosa hat Anklang (Resonanz 😉) gefunden in der Beraterwelt. Ausgangspunkt für das Verständnis des Soziologen Hartmut Rosa (2019) bildet ein Experiment mit Metronom oder Pendel: Die Pendel nähern sich an, wenn sie miteinander verbunden sind. Sie pendeln miteinander, sind allerdings nicht im Gleichklang. 

Was ist Resonanz?

Ich persönlich kenne das Resonanzphänomen aus dem Singen im im Ensemble – wenn die Sopranistin ihren Teil singt und ich als Altistin in meiner eigenen Klangqualität und dennoch durch ihren Impuls und mit ihr schwingend darauf einsteige. Oft ist es eine Art Wechselgesang mit gegenseitiger Impulsgabe – es ist keine Imitation aber auch kein davon separates „ich singe meine Stimme, wenn ich dran bin.“ Hartmut Rosa beschreibt es so,

„dass sich die beiden Entitäten der Beziehung in einem schwingungsfähigen Medium (oder Resonanzraum) wechselseitig so berühren, dass sie als aufeinander antwortend, zugleich aber auch mit eigener Stimme sprechend, also als ‚zurüktönend‘ begriffen werden können… Eben-deshalb darf Resonanz werde im wörtlichen noch im übertragenen Sinne mit Echo verwechselt werden: Dem Echo fehlt die eigene Stimme.“ (Rosa in seinem Grundlagenwerk „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“)

Zum Modus der Resonanz gehören nach Rosa vier Merkmale, die sukzessive geschehen:

1. Wir werden von etwas berührt, erreicht, affiziert. Dies ist eine Art der „Anrufung“ durch die Dinge. Sie wird spürbar durch emotional-körperliche Regungen. Da ist eine Art Ansprache, die mich zieht. Rosa spricht davon, dass in diesem Moment die „Panzer der Verdinglichung“ unserer Welt der Aneignung aufbrechen, dass die „Entfremdung“ sich auflöst, dadurch dass sich das Subjekt „adressiert“ fühlt und dadurch ein intrinsisches Interesse entwickelt.

2. Wir antworten emotional (von emovere – „herausbewegen“), gedanklich und körperlich darauf. Dies ist der Moment der Selbstwirksamkeit, in dem auch wir die andere Seite in irgendeiner Weise erreichen können. Unter Menschen können dies Blicke oder ein Dialog werden. Aus der Differenz zwischen Impuls und Resonanz ergibt sich ein Wechselspiel. Es geht dabei darum, das, was uns berührt, als wirksam zu erleben. Wir geben unsere Berührung gleichsam zurück – und sei es beim Lesen eines Buches, wenn es in uns nachklingt.

3. Die Folge ist „Anverwandlung“ im Sinne eines „Verwandelns“ durch das Miteinander-Schwingen im jeweiligen Eigensein. Dies bewirkt eine Veränderung, die Rosa auch Transformation nennt, ganz im Gegenteil zur uns üblichen Reichweitenerweiterung im Sinne von „Verfügbarmachen“. Die Beziehung zwischen dem Subjekt und der Welt verändert sich durch die lebendige Erfahrung von Affizierung, Emotion und anverwandelnder Transformation. Diese veränderte Beziehung verändert nicht nur uns, sondern auch das Gegenüber verändert sich in unserem Erleben. Es ist durch diese Erfahrung nicht mehr das Gleiche wie vorher. Dieser Prozess ist weder ganz aktiv noch ganz passiv. Er kann nur erfahren werden, wenn man sich selbst diese Berührbarkeit und die Antwort darauf zutraut.

4. Dies ist nicht herstellbar, nicht steigerbar, es ist unverfügbar, d.h. ich muss mich einlassen, ohne zu wissen, was passiert. Ich kann jedoch für Bedingungen sorgen, die dies wahrscheinlicher machen. Gleichzeitig kann Resonanz auch dort geschehen, wo ich es nicht erwarte – selbst unter entfremdeten Bedingungen. Resonanz ist somit kontingent und damit ergebnisoffen, d.h. wenn sich Resonanz ereignet, wissen wir zwar, dass Transformation stattfindet, jedoch nicht, in welche Richtung. Wir können sie auch nicht festhalten oder steigern – so gern wir das manchmal möchten. Resonanz bleibt unverfügbar. (Die vier Apekte sind ein Ausschnitt aus meinen Buch https://amzn.eu/d/g6hWDIH).

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass Resonanz nichts zu tun hat mit einem Mitschwingen eigener Befindlichkeiten, bei dem das Gegenüber letztlich mit meinen eigenen Emotionen überschwemmt wird. Zur Resonanzfähigkeit gehört, sich zwar berühren, aber nicht überwältigen zu lassen.

Wie erwirbt man Resonanzfähigkeit?

Die frohe Botschaft ist, dass wir als Menschen grundsätzlich resonanzfähig sind. Es geht also nicht darum, Resonanzfähigkeit erwerben zu müssen, sondern sich in entscheidenden Momenten bewusst dazu zu entscheiden, sich nicht vor Resonanz zu verschließen. Dieses Verschließen geschieht jedoch häufig unbewusst. Dazu gibt es sowohl kulturelle als auch individuelle Motive. Kulturell erleben wir mancherorts eine deutliche Ansage zur Unverletzlichkeit und absoluten Sachbezogenheit. Individuell lernen wir – auch aus gutem Grund - uns vor Verletzungen, Kränkungen und Beschämungen zu schützen. Dann verschließen wir uns durch unsere Abwehr vor dem Außen. Wollen wir also bewusst offen für Resonanzen sein, so gilt es zuvorderst, sich der Abgrenzung und Verschließung vor dem Außen bewusst zu werden (das ist oftmals ein langer Weg, da er bis in unsere frühkindliche Bindung hineinreichen kann). Nur dann kann ich in Folge auch bewusst steuern, ob und wie weit es angesagt ist, sich zu öffnen oder sich zu schützen – wobei ich mich im zweiten Fall gegen Resonanz entscheide.

Wofür brauchen wir das?

Zugehörigkeit ist eines unserer psychologischen Grundbedürfnisse. Über unsere Resonanz spürt unser Gegenüber genau das: Ich bin verbunden. Darüber wächst bei wiederholter Erfahrung Vertrauen. Darüber wächst in einem Team auf Dauer eine psychologische Sicherheit. Darüber wächst der Mut, auf der Basis von Verbundenheit auch die eigene Autonomie, das Eigene zu zeigen. Die „gebundene Individuation“ (Stierlin) erhält somit eine Fortsetzung, vielleicht auch eine Nachreifung als Erwachsener. Das hat grundlegende Folgen für die Kreativität und das Innovationspotential in Teams: Ich kann hier auch eigene unkonventionelle Ideen einbringen, denn ich bin verbunden.

Gelingt dies, hat es maßgebliche Konsequenzen für die Kommunikation. Ein wirklich bereichernder Dialog, wie z.B. David Bohm ihn beschreibt, erfordert, dass wir aus den vorhandenen Argumenten etwas Neues kreiieren können - und das geschieht in gegenseitiger Resonanz. Bohm beschreibt die Parallele dialogischen Prinzips zu dem des Naturwissenschaftlers, der wenn „das Beobachtete, dem was er im Sinn hatte, nur ähnlich ist und nicht mit ihm identisch, entwickelt er aus der Betrachtung der Ähnlichkeiten und Unterschiede eine neue Idee, die wiederum überprüft wird. Und so geht es weiter.“ Resonanz führt folglich zu Innovation.

In belasteten Situationen führt Resonanz noch zu etwas anderem. Wenn jemand in Erstarrung oder Ohnmacht ist – und das erlebe ich aktuell zum Beispiel im Pflegebereich z.B. bei Pflegedienstleitungen, die versuchen, einen realistischen Dienstplan zu erstellen – dann ist die Resonanz im Beratungssetting oftmals der erste Schritt zurück in die Selbstwirksamkeit. Die Erfahrung: „Ich kann Resonanz auslösen“ ist oftmals ein erster, wenn auch noch so kleiner Schritt heraus aus der Ohnmacht.

Was können wir dafür tun?

Resonanz ist zwar nicht verfügbar, aber ich kann sie wahrscheinlicher machen. Neben der weiteren Persönlichkeitsentwicklung durch Selbstwahnehmung und Selbstreflexion haben wir die Möglichkeit, einen entspannten, vertrauten und vertrauensvollen Rahmen zu gestalten, in denen Resonanz positiv wirken kann – statt in einen wie auch immer gearteten Kampfmodus zu verfallen, in dem ich als Beraterin z.B. mehr will als die Organisationseinheit oder der Auftraggeber. Getriebensein, Stress und Hektik sind Feinde von Resonanz.

Neben Hartmut Rosas Schriften zu Resonanz und Unverfügbarkeit und einiger Artikel von ihm, haben mich außerdem Klaus Eidenschinks aktuelles Buch über narzisstische Nöte und daraus folgend Frank Staemmlers Werk über Resonanz und Mitgefühl zu diesen Ausführungen bewogen und genährt, wofür ich sehr dankbar bin. Für mich ist die zunehmende Resonanzfähigkeit ein wichtiger Weg in transformativen Prozessen. Dazu brauchen wir eine größere Unerschrockenheit unseren eigenen Emotionen gegenüber – und dazu wird es in den folgenden Artikeln gehen.