Auf der Suche nach dem Licht

Und was Weihnachten für mich mit Beratung zu tun hat.

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Ich bin Organisationsberaterin und beherrsche – mindestens auf Niveau der Anwenderin – die Sprache der Systemisch-Konstruktivistischen Organisationsberatung. Ich fühle und denke mich in die unterschiedlichen Welten meiner Kund*innen ein, um im Habitus und insbesondere in der Sprache authentisch anschlussfähig zu sein. Meine Produkte im Rahmen der Organisationsberatung heißen z.B. „Coaching“ oder „Teamentwicklung“ oder „Strategieworkshop“ und immer geht es darum, Potentiale auf Kundenbedürfnisse hin zu weiterzuentwickeln und / oder zu fokussieren. Funktional und zielorientiert. 

Und gleichzeitig spricht in mir noch eine andere Sprache:

In diesen kurzen Adventstagen 2023 schreibe ich meinen Gruß für Weihnachten und das neue Jahr an alle Kolleg*innen und Kund*innen und weitere Menschen, mit denen ich in Verbindung stehe. Wenn ich diesen Adventsgruß schreibe, so vergewissere ich mich der Wurzeln dieser Tradition und meiner eigenen – das ist mein Naturell. Ich mag keine sinnentleerten Rituale oder Worthülsen, sondern wenn ich zu Weihnachten schreibe, reflektiere ich meinen Sinn darin. Dieses Mal geht es um die Suche nach dem Licht.

Dem Ritual meinem religiösen Deutungsrahmen, dem auf dem Judentum fußenden Christentum, entsprechend, habe ich letzten Sonntag die nächste Kerze am Adventskranz angezündet. Das Licht möge sich nach und nach mehren.

Licht ist die Bedingung für Leben. Licht wirkt auf unsere Stimmung: Kühles Neonlicht unterscheidet sich vom Tageslicht, von Kerzen- oder Feuerschein. Das Tageslicht gibt uns den Schlaf-Wach-Rhythmus. Es beeinflusst auch unsere kognitiven Fähigkeiten. Licht wirkt sich aus auf Körper, Geist und Emotionen.

Die Bibel, das meistverkaufte Buch der Welt, beginnt bereits mit der Sehnsucht nach dem Licht im Schöpfungsbericht: „Es werde Licht!“. Weiter wird im ersten Testament Gott selbst als Licht bezeichnet, wie zum Beispiel in den Psalmen „mein Licht und mein Heil“ (Psalm 27).

Wenn wir nun in diesen Tagen auf die Geburt Jesu schauen, so wird der Messias als Licht angekündigt. Besonders beeindruckend finde ich die Worte des Apokalyptikers Daniel über das „wahre Licht“:

„Er offenbart das Tiefe und das Verborgene; er weiß, was in der Finsternis ist, und bei ihm wohnt das Licht.“ (Daniel 2,22).

Spätestens an dieser Stelle bin ich assoziativ ganz nah bei meiner Tätigkeit als Beraterin. Nur, weil wir die Finsternis kennen und erleben, wissen wir um das Licht. Und das Licht kann nur leuchten, wenn wir das Tiefe und Verborgene nicht leugnen. Meine Intention, neue Möglichkeitsräume zu entdecken, führt durch das Verborgene – durch das Geheimnisvolle. Ich brauche diese Metapher nicht auszusprechen – da bin ich behutsam, ob das förderlich oder eher hinderlich ist – doch ich denke in meinem Tun das Geheimnisvolle und die Tiefe des Entwicklungsgeschehens mit.

Blicken wir auf Weihnachten, so ist der christliche Glaube, dass mit der Geburt Jesu das Licht in die Welt gekommen ist. Das Licht der Erlösung und des Friedens, oder so wie im Johannesevangelium steht: „Ich bin das Licht der Welt, das Licht, das Leben schenkt und auf Gottes Herrlichkeit verweist. Wer mit mir geht, wird nicht im Dunkeln sein“.

Das Licht ist ein Symbol für Heil und Leben. Doch Jesus selbst bezieht laut Evangelien das Licht nicht nur auf sich. Im Matthäusevangelium sagt er zu seinen Anhängern: „Ihr seid das Licht der Welt.“.

Für mich als Beraterin ist vor allem die folgende Allegorie aus dem Matthäusevangelium bedeutsam:

„Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter.“

Inwendig kommen mir bei jeder „Potentialentwicklung“ jene Metaphern. Für mich geht es darum, den Glanz eines jeden Menschen ein wenig mehr zum Leuchten zu bringen – das Gefäß, was das Licht abdunkelt oder gar zu ersticken droht, zu identifizieren und es so zu platzieren, dass die Flamme Luft zum Atmen, zum Leuchten hat. In dieser Sprache, die so tief wurzelt, ist immer ein wenig mehr „Geheimnis“ enthalten. Etwas Nicht-Lineares, etwas, was über Funktion hinaus geht und auch die Emotion betrifft. So wie dies in jeder Beratung der Fall ist: Es geschieht etwas Unverfügbares.

Das Licht in das Zentrum für Heil und Leben zu stellen, verbindet verschiedene Religionen und Weltanschauungen miteinander.

Im Buddhismus geht es um unsere „Erleuchtung“. Sie weckt uns Menschen auf, führt uns heraus aus Unwissenheit. Bereits vier Jahrhunderte vor Christi Geburt war es ein indischer Prinz, der das Leid der Welt zu überwinden versuchte und so zur Lichtgestalt und zum „Erwachten“ wurde. Auch hier sind der Prophet selbst wie auch seine Anhänger zum Leuchten aufgerufen.

Im Hinduismus ist kein Ritual ohne Licht möglich. An Diwali wird nicht nur die äußere, sondern auch die innere Welt erleuchtet. Es geht um Neubeginn – den Triumph des Lichts über die Dunkelheit, der Erkenntnis über die Unwissenheit.

Im Koran ist Gott das Licht des Himmels und der Erde (Sure 24, Vers 35). Der Vers heißt sogar der „Lichtvers“. Und „Gott leitet zu seinem Licht“.

Ich betreibe hier keine interreligiöse Theologie – das steht mir aufgrund mangelnder Expertise nicht zu. Ich versuche etwas Verbindendes zu finden in dieser Zeit, in der wir hier im christlichen Kulturkreis auf Weihnachten zugehen. Wenn Weihnachten auch das Fest des Friedens sein soll, so kann es nur darum gehen, das Verbindende zu suchen – zwischen Religionen und unabhängig davon. Ich versuche in dieser Zeit die Tiefendimension und Weisheit zu erhalten, ohne in Esoterik, Ideologien oder Absolutheitsansprüche zu verfallen.

Integration verschiedener und oft ambivalenter Teile hat meines Erachtens immer etwas damit zu tun, in die Metaperspektive zu gehen. Aus einem anderen Frame auf die Dinge zu schauen. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, dass das gelingen kann: Bei mir selbst, bei Coachees, bei Konfliktparteien, in Teams und Organisationen. Es braucht dazu einen sicherheitsgebenden Rahmen – und eine übergeordnete Gemeinsamkeit, die eher weicher ist. Ist sie erst gefunden, so machen die Differenzierungen darunter weniger Angst.

Auf der Suche nach einem passenden Wort zu Weihnachten für mich und welches ich auch meiner Kundschaft mit auf den Weg geben möchte, bin ich in diesem Jahr bei dem persischen Mystiker Rumi fündig geworden. Es findet spürbare Resonanz in mir, und vielleicht mag es auch in Ihnen klingen. Mit diesem Wort wünsche ich Ihnen ein warmes und lichterfülltes Weihnachtsfest:

„Suche das Licht nicht im Außen, finde das Licht in dir und lass es aus deinem Herzen strahlen.“