Systemtheorie ... and more

Oder: Haltung ist nicht nur eine Frage für Physiotherapeuten

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Es gibt zwei Anlässe für das heutige Thema Ende Oktober 2023. Da ist zum einen der 75. Geburtstag von Fritz Simon. Herzlichen Glückwunsch auch von mir. Bei Fritz Simon habe ich im Jahr 2013 den Grundkurs Systemische Organisationsberatung absolviert.

Der andere Anlass ist die Erscheinung einiger spannender Bücher, von denen zwei stark an der soziologischen Systemtheorie à la Luhmann ausgerichtet sind.

 

Warum beschäftigt mich das so? Beides spült bei mir wieder etwas hoch, was ich mir vor 10 Jahren schon beantwortet habe, nun aber mit anderer Klarheit formulieren kann.

Als Supervisorin mit systemischem Schwerpunkt war ich bis dahin fragend unterwegs, wie die Bausteine meiner beruflichen Prägung zusammenpassten. Von einem humanistischen Menschenbild geprägt, durch die Schule der Gruppendynamik gegangen, eine analytisch ausgerichtete Doktormutter mit gesellschaftskritischem Blick – und dann Systemtheorie à la Luhmann!

Die Systemtheorie als Beratungsgrundlage hat mich überzeugt: Die Grundannahme von funktionierenden komplexen und autopoietischen Systemen, die Arbeit an Mustern, das Denken in Ambivalenzen und Paradoxien – das hat mir eine große Erweiterung in der Praxis gebracht. Während ich vorher gern im Sinne eines Dienstleisters einen Auftrag einfach erfüllt habe, ist es für mich heute klar, dass dieser Auftrag bereits wahrscheinlich Teil des Musters ist und ein reines Bedienen desselben auch schnell zu einem Mehr desselben führen kann.

Doch meine Frage in meiner Fortbildung bei Simon Weber and friends vor 10 Jahren war: Wo ist da die Ethik? Welche Rolle hat der Mensch? Wie geschieht kritisches Denken, wenn es in der Systemtheorie doch vor allem um das Funktionieren und die anschlussfähige Intervention darin geht?

Dazu eine kleine Anekdote aus meiner Fortbildung damals. Fritz Simon sagte in seiner ihm so eigenen Art zum Thema „Haltung“: „Die Frage der Haltung ist eine Frage für den Physiotherapeuten.“ – mir ist aus heutiger Sicht klar, dass er damit verdeutlichen wollte, dass aus systemtheoretischer Perspektive nur das zählt, was auch in die Kommunikation kommt, was im Verhalten sichtbar wird.

Mein Nebel damals lichtete sich, als es eine Demonstration einer Beratungssequenz innerhalb des Stuhlkreises gab. Fritz Simon als Berater. Ich kann mich nur noch ein meine Gedanken und mein Empfinden erinnern: Seine Gesprächsführung war so, dass Carl Rogers seine wahre Freude daran gehabt hätte: Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte – kurz gesagt „Spiegeln“ par excellence. Bei aller Sachlichkeit: einfühlsam, zugewandt, auf die Gefühle und Bedürfnisse horchend. Da war eine Haltung zum Menschen, ein Menschenbild zu vermuten. Und dass bei Fritz Simon auch eine Ethik und eine Gesellschaftskritik vorhanden ist, das wird immer wieder deutlich in seinen Posts auf LinkedIn.

Was ich damit sagen will: Die Systemtheorie ist ein wunderbares Werkzeug mit hohem Mehrwert und ich bin dankbar allen, die sich so „unvermischt“ und klar damit beschäftigen. Mit der Systemtheorie als Anker laufen wir nicht Gefahr blindlings „Moden“ zu folgen. Vielen Dank an Christina Grubendorfer und Torsten Groth, dass Ihr das immer wieder betont und damit eine unaufgeregte Solidität in die Arbeit bringt.

Doch reicht für mich allein die Systemtheorie für eine Beratung bei weitem nicht aus, denn sie beschäftigt sich z.B. nicht mit einem Menschenbild, einer Ethik oder setzt Werte – das ist ihr nicht vorzuhalten und auch nicht denen, die sich mit vermehrt damit beschäftigen.

Es braucht noch was dazu.

Auch wenn wir systemtheoretisch betrachtet nicht den „ganzen Menschen“ in der Arbeit brauchen – wir haben es in Organisationen mit Menschen mit Bedürfnissen und Gefühlen zu tun. Wir begegnen ihnen von Mensch zu Mensch und zwischenmenschliches Vertrauen ist oftmals die Grundlage für eine anschlussfähige Irritation.

Auch wenn Organisationen aus der Systemlogik heraus keinen zusätzlichen Purpose brauchen - Menschen suchen nach Sinn und investieren darin, ihren Sinn zu erfüllen.

Für mich gilt der Weg: Das Eine tun und das Andere nicht lassen. Den systemtheoretischen Blick auf das soziale System behalten und mit den Menschen als solchen arbeiten.

Ich bin dankbar für all diejenigen, die mit ihren wertvollen Gedanken meine Professionalität unterstützen, durch Bücher und Theorien, durch gedankliche wie emotionale Reflexion und praktische Methoden, die beides beinhalten.

An dieser Stelle seien ganz besonders Matthias Varga von Kibèd und Insa Sparrer genannt, bei denen ich kürzlich 6 Tage zu transformativen Strukturaufstellungen gearbeitet habe. Ein Geschenk.