„Gut führen kann, wem das eigene Ego nicht im Weg steht“

business g83dc11d0b 1920Also, egoistisch bin ich ja nun nicht. Und eingebildet auch nicht. Ergo bin ich eine gute Führungskraft? Und: Brauchen wir nicht auch ein wenig „Ego“ – das heißt ja schließlich „Ich“?

Was meint Nicole Seifert, Geschäftsführerin der Feedbackpeople aus Greven vielleicht damit, wenn sie dieses Zitat im Führungscurriculum für zukünftige Leitungskräfte mit besonderen Herausforderungen im Erzbistum Paderborn zur Verfügung stellt. Das Modul der letzten Woche mit diversen situationsangepassten Rollenspielen diente einzig dem Feedback und damit verbundenem Wachstum durch Bewusstsein der eigenen Wirkung. Ich war in der Rolle der Feedbackgeberin dabei.

Was können wir unter Ego verstehen?

Das Wort Ego ist in unserer Umgangssprache geläufig. Ein großes Ego wird dann oft mit Arroganz assoziiert. Dass jedoch auch andere Inhalte, ja sogar Bescheidenheit Teil des Egos sein kann, das wird erst verständlich, wenn wir ein Konzept hinzuziehen. Mir hilft hier als Grundlage die analytische Psychologie C.G. Jungs. Er spricht vom Ich-Bewusstsein, welches den bewussten Anteil der Persönlichkeit darstellt.

Das Ich-Bewusstsein, also das Ego entspricht unserem Selbstbild, welches geschönt ist, da es nur die Aspekte hineinlässt, die entweder unserem Ich-Ideal entsprechen oder aber Anteile, mit denen ich mich ausgesöhnt habe. Es ist die Antwort auf die Frage: „Wer bin ich? Wofür halte ich mich? Was gehört zu mir?“. Es besteht aus den erworbenen Identifikationen unserer Sozialisation.

Wie entsteht es?

Um der Zugehörigkeit Willen passen wir uns aufgrund der Signale des Wohlgefallens oder auch Nicht-Gefallens erst unserer Eltern und später anderer Bezugspersonen, mit denen wir in Verbindung sind, an. Später checken wir ab, was andere wohl von uns erwarten. Zu Beginn neuer Begegnungen gehen wir immer von unseren früheren Erfahrungen aus. Wir haben sozusagen „Erwartungserwartungen“, also eine bestimmte Erwartung dessen, was unser Gegenüber von uns erwartet. Es ist nicht zuletzt das Gefühl der Scham, welches uns zu überlebensnotwendiger Anpassung und nicht zuletzt auch Leistung antreibt. Ja, Scham hat auch einen positiven Sinn. Schamüberflutung durch Beschämung jedoch oder aber ein Zuwenig an Belohnung der Anpassungsleistung - z.B. durch Wertschätzung und Gesehen werden und dem geborgenen Gefühl der Zugehörigkeit - führt zu einem überzogenen Drang nach „Gutsein“ und „Glänzen“.

Und was gehört noch zu uns - zu unserem "Selbst"?

C.G. Jung

Die Persona, das heißt übersetzt „Maske“, ist das, was wir von unserem Selbstbild zeigen. Es ist die Kontaktfläche mit der Umwelt. Sie brauchen wir, um in unterschiedlichen Systemen einen Zugang zu finden – und gleichzeitig sagt schon das Wort, dass die Persona nur ein Teil unserer Persönlichkeit, C.G. Jung würde sagen des „Selbst“ als Ganzheit unserer Psyche, ist. Was nämlich auch zum Selbst gehört, ist der Schatten. Der besteht zum einen aus den Anteilen, die im Laufe unserer Biografie im Dunkeln geblieben sind, weil sie als nicht wünschenswert oder gar böse bewertet wurden. Es sind vorhandene Anteile, die wir nicht als zu uns zugehörig zählen, wahrscheinlich gar nicht sehen. „So bin ich nicht!“. Darüber hinaus gibt es noch den kollektiven, archetypischen Schatten, der noch Anteile enthält, die in einer gesamten Kultur im Dunkeln liegen – doch die tun in diesem Kontext weniger zur Sache.

Wann steht uns das Ego im Weg?

Wenn ich also nun sehr starke Identifikationen mit meinem „geschönten“ Selbstbild habe, dann steht mir das Ego im Weg. Das ist z.B. der Fall

  1. Wenn jemand mir etwas Gegenteiliges zuspricht – dann fühle ich mich angegriffen und meine bevorzugten Abwehrmechanismen treten in Kraft: Projektion, Spaltung, Rationalisierung oder was auch immer. Ich spüre eine emotionale Erregtheit ausgelöst durch die Wahrnehmung einer Gefahr.
  2. Wenn ich dem nicht entspreche, was ich meine zu sein – dann bin ich niedergeschlagen und es rüttelt an meinem Selbstwert. Ich habe Sorge darum, aus der Zugehörigkeit und Wertschätzung zu fallen, wenn ich meinem Ich-Ideal nicht entspreche.
  3. Wenn etwas von mir gefragt ist, was im Dunklen liegt – dann bin ich in meinem Handeln eingeschränkt. Ich komme zu der Aussage „Das kann ich nicht.“

In den Rollenspielen – und noch viel mehr in den anschließenden Feedbacks des Trainings wurde dieser Effekt deutlich. Das Ich-Ideal „Ich habe alles im Griff.“ beispielsweise fällt Führungskräften schnell auf die Füße. Gerade in Zeiten von Unsicherheiten ist es wesentlich, sich den klassischen systemtheoretischen Satz der Kontingenz zu sagen: „Es könnte auch anders sein.“ oder hier vielmehr „Ich könnte auch noch anders sein, als ich immer meinte, es sein zu müssen.“

Was können wir tun, um reifer zu werden?

Es gilt also, das Ego zu verflüssigen. Das geht über den Weg des In-sich-hinein-horchens: „Was ist es gerade, was mich antreibt?“ „Welches sind gerade meine wahren Grundbedürfnisse – und was nur Schein?“, „Warum packt mich jene Rückmeldung so stark?“. Warum brauchen wir die Orientierung nach Innen? Das Ego hat die Orientierung nach Außen, die ständig genährt wird. Es geht nun darum, mehr von sich selbst zuzulassen. Die eigenen Gefühle und die eigenen Bedürfnisse, die bislang nicht in meinem Ich-Ideal auftauchten, anzuerkennen. „Was ist, darf sein. Was sein darf, kann sich wandeln.“, so ein Wort aus der Gestaltpsychologie. Auf diese Weise geschieht die Akzeptanz und Versöhnung mit dem, was sonst noch so in mir ist: all meine ungeliebten Anteile.

Wenn ich über diese lachen kann, dann ist das eine sehr reife Art, sich selbst vor der Verletzlichkeit zu schützen, die immer damit verbunden ist, das Ungeliebte zuzulassen und anzuschauen. Vertrauensvolle Beziehungen – privater wie professioneller Art - die genügend Raum für Individualität lassen, verhelfen uns dazu, mehr vom Selbst in unser Bewusstsein zu lassen. Das macht freier und flexibler – und das Ego steht nicht nur der Führungskraft nicht mehr im Weg.