"Wo kämen wir denn hin, wenn jeder macht, was er will?"

Regelbruch3 gute Gründe, Regeln zu brechen

 

Ich stelle einmal eine andere Frage: Wo kämen wir denn hin, wenn alle nur genau das tun würden, von dem sie wissen, dass es von ihnen erwartet wird? Wenn sie nicht auch anderen, eigenen Impulsen folgen würden? Wenn sie nicht auch neue, unerprobte Wege ausprobieren würden? Wenn sie nicht mit ihren Möglichkeiten experimentieren würden? Wenn sie nur „gehorsam“ wären? Eines steht fest: Die Folge ist Stagnation. Es bewegt sich nichts. Mir, die ich mich gerade mit Leidenschaft dem Thema individueller wie auch organisationaler „Transformation“ widme, also einer Entwicklung mit qualitativer Veränderung, liegen folgende drei Gründe für gelegentliche Regelbrüche am Herzen.

1. Gegen die Überanpassung - Mit Regelbruch zur Selbstentfaltung

Wir alle lernen als Kinder zu Hause wie auch in der Schule Anpassung. Das kleine Wörtchen „man“ brennt sich in unser Gehirn ein. „Das macht man nicht.“. „Das gehört sich so“. So oder so ähnliche Sprüche haben wir alle gehört. Für eine bestimmte Altersstufe ist es sinnvoll, die Grenzen im sozialen Leben zu erfahren – denn tatsächlich wären wie eine asoziale, sich selbst zerfleischende Menschen, wenn wir alle ungefiltert unseren Impulsen folgen würden. Doch inzwischen sind wir erwachsen und in der Lage, mit eigenem Denken und eigenen Entscheidungen mit Regeln neu umzugehen. Schauen wir mal auf den Reifegrad eines automatisch gehorsamen Menschen – und ich beziehe mich hier gern auf die 6 Haltungen nach Martin Permantier – dann sind wir bei der sogenannten Gemeinschaftsbestimmt-Konformistischen Haltung. Diese lässt auf Dauer nur ein sehr ausgewähltes und immer gleiches Potential der Einzelnen zum Zuge kommen. Der oder die Einzelne hat nur wenige vordefinierte gelebte und viele ungelebte Anteile, die ihr Schattendasein fristen – und fühlt sich irgendwann leer und ausgebrannt. Viele Menschen verlagern das Leben der im Job nicht angefragten Teile auf das Privatleben, auf ihre Hobbies. Das ist auf jeden Fall gut für die eigene Psychohygiene. Will ich jedoch gestalterische Selbstwirksamkeit spüren, ist die sinngebende Erfahrung wichtig, in vorhandenen Strukturen etwas mitgestalten zu können. Ganz eng damit verbunden ist auch der folgende Punkt.

2. Beweglichkeit im Geiste – Mindshift durch Musterbruch

„Das geht nicht“, „Das kann ich nicht“, „Dazu fehlt uns/mir die Zeit“, „Das passt hier nicht“, „Es ist doch alles gut wie es ist“ – all das sind typische Bremseraussprüche, die von Menschen kommen, die unflexibel sind und Angst haben, die Komfortzone zu verlassen. Wer nur einprogrammierte Dienste leisten kann, wird in der digitalisierten Welt bald überflüssig. Für die Lösungen der Zukunft brauchen wir kreative Menschen. Wie viel flexibler werden wir, wenn wir Regeln einfach mal brechen? Wenn Du Sorge hast, das in Deinem Arbeitsfeld einzuüben, dann versuch es doch einfach mal im Privatbereich. Deine eigenen inneren eingefahrenen Denkweisen halten Dich oft unter Deinen Möglichkeiten und Potentialen gefangen – wieviel reicher und lebendiger ist das Leben jedoch, wieviel flexibler, agiler werden wir, wenn wir neue Möglichkeiten entdecken. Wenn Du z.B. die innere Regel hast, dass Du immer pünktlich sein musst, so komm doch einfach mal zu spät. Vielleicht kannst Du es dann irgendwann einmal genießen, den vorherigen Termin in Ruhe zu Ende zu bringen. Oder es gibt die unausgesprochene Regel, dass bestimmten dominanten Menschen in Deinem Freundeskreis nicht widersprochen wird – versuch es doch mal! Es ist in jedem Fall ein Musterbruch, der etwas Neues in die Welt bringt. Es braucht ein wenig Übung, um nicht zu sehr vor sich selbst zu erschrecken. Dann wird es eine Beweglichkeit in Deinem Denken und Handeln werden. Dass nicht nur Einzelne, sondern ganze Systeme von Regelbruch profitieren, liegt auf der Hand.


3. Innovation in Organisationen – Entwicklungsförderliche Komplexitätserhöhung

„Es könnte auch anders sein“ – so heißt der systemtheoretische Satz, der immer daran erinnert, dass alte Wahrheiten kontingent sind. Ist es nicht wertvoll, sich auf Erfahrungen zu berufen? Sagt nicht ein wichtiger lösungsorientierter Satz: „Wenn Dinge funktionieren, mache mehr davon!“? Ja, Erfahrung ist wertvoll. Dauernde Wiederholung jedoch bringt nichts Neues und führt letztlich zu Überheblichkeit („Wir wissen, wie es geht“) und das Wiegen in vermeintlicher Sicherheit („darum kann uns nichts passieren“). Das hat schon einst erfolgreiche Unternehmen in den Ruin geführt. James G. March nennt die Erfahrung eine nützliche aber unvollkommene Lehrmeisterin. In unserer komplexen Welt reicht Erfahrungswissen allein nicht aus. Das weiß die Natur schon lange und ohne die Spielarten, die aus der Rolle fallen, die Mutationen, hätte es keine Evolution. Also brauchen Organisationen auch Verhalten, welches aus der Rolle fällt. Es könnte nämlich sein, dass genau das andere, neue, regelbrüchige Verhalten das zukunftsfähige ist- oder aber etwas zukunftsfähiges daraus entsteht. Aus der Rolle fallen wäre z.B. eine quer gedachte Idee laut an einer Stelle auszusprechen, wo Du nicht gefragt warst. Nimm Dir also die Erlaubnis, Deinen Impulsen und Ideen zu folgen. Regelbruch, solange mit Loyalität der Organisation gegenüber gepaart, bringt Dich und die Organisation nur weiter. Wenn die Organisation Deine kreativen Ideen nicht verkraftet, suche einen anderen Ort für Dich, denn dann passt ihr nicht zusammen.


Ich wünsche Dir Mut auf diesem lebendigen Weg des Regelbruchs!

Inspiriert durch:
Förster, Anja/Kreuz, Peter: Vergeude keine Krise. 28 Rebellische Ideen für Führung, Selbstmanagement und die Zukunft der Arbeit. Rebels at Work Media 2020. (Danke für das Buchgeschenk, Adelheid. Die radikale Klarheit bei Förster und Kreuz bringt mich weiter.)

Gergs, Hans-Joachim: Die Kunst der kontinuierlichen Selbsterneuerung. Acht Prinzipien für ein neues Changemanagement. Beltz 2016. (Danke für die gemeinsame Sammlung zu den Prinzipien, Rainer. Vor allem das Erkunden und Experimentieren macht mir so viel Freude!)

Hofert, Svenja: Mindshift. Mach Dich fit für die Arbeitswelt von morgen. Campus 2019. (Danke an Svenja Hofert selbst – das Buch wurde mir zum Arbeitsbuch, welches wesentliche Möglichkeitsräume bei mir hob.)

Kühl, Stefan: Brauchbare Illegalität. Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen. Campus 2020. (Wie immer: Die praxistaugliche Weiterentwicklung aus den Fußstapfen Luhmanns.)

March, J.G.: Zwei Seiten der Erfahrung. Wie Organisationen intelligenter werden können. Carl-Auer 2016 (Danke, Torsten, dass Du mir die Systemtheorie und auch dieses Buch nahegebracht hast.)

Permantier, Martin: Haltung entscheidet. Führung und Unternehmenskultur zukunftsfähig gestalten. (Danke für den Tipp, Christina. Dieses Buch wird mich noch begleiten.)